„Belaid, wo ist die Wolle?“
Mein Name ist Belaid. Belaid Zouhair. Meine Leidenschaft sind Teppiche und das hier ist meine Geschichte:
In den Bergen Marokkos, im Atlas-Gebirge, dient das Knüpfen von Teppichen mehr als nur dem Lebensunterhalt. Es ist tief in der Kultur der dort lebenden Berber verankert und spielt sich gerade deshalb auch in der häuslichen Mitte jeder Familie ab. Die Knüpfstühle stehen im Wohnzimmer und begleiten jedes Familienmitglied, solange es in der Hausgemeinschaft lebt. Auch mich. Ich spielte, schlief, aß und trank in ihrer unmittelbaren Gegenwart und lernte so die Bedeutung, aber auch die unerschöpflichen Möglichkeiten des Knüpfens kennen. Teppiche sind so zu meiner Heimat geworden. Egal, wo ich später auch lebte.
Man muss wissen, dass ein Berberteppich eine Seele besitzt. Das mag für West-Europäer mit ihrer rationalen Einstellung zum Leben eher gewöhnungsbedürftig klingen, für den Berbern ist das jedoch überhaupt keine Frage. Denn jeder Teppich erzählt eine eigene Geschichte. Ausdruck findet sie in den wunderbaren Farben und phantasievollen Mustern, für die Berberfrauen berühmt sind. Sie übertragen ihre Kraft und ihre Energie beim Knüpfen unmittelbar auf die Teppiche - wie das jedem anderen Künstler bei seinem Werk auch gelingt. Für mich sind daher Berberteppiche keine Gebrauchsgegenstände, sie sind Spiegel der Seele und wahre Kunstobjekte.
Ich bin aber keineswegs nur Romantiker. Die Entscheidung, schon vor über 20 Jahren nach Deutschland zu gehen, um dort Textilveredelung zu studieren und später in der Schweiz zu arbeiten, war Teil einer unternehmerischen Idee, mit der ich eine kulturelle Brücke zwischen anspruchsvoller Inneneinrichtung in Europa und dem traditionellen Landleben Marokkos errichten wollte. Beides sollte voneinander profitieren. Zum Gewinn aller. Die einen mit überragenden Produkten von höchster Ästhetik und unvergleichlicher Qualität. Die anderen durch die Möglichkeit, ihr Talent und ihre künstlerische Fertigkeit zu nutzen, um persönliche Unabhängigkeit jenseits der entfremdenden Industrieproduktion zu erreichen.
Ich kann mich noch gut daran erinnern, als ich ganz zu Anfang hochwertige Wolle selbst einkaufte und sie den Frauen meines Dorfes mit dem Wunsch gab, meine selbst entworfenen Farb- und Musterkombinationen als Teppiche umzusetzen. Ich werde nie vergessen, mit welchem Stolz und welcher Bescheidenheit sie mir später ihre Arbeit präsentierten. Seitdem werde ich jedes Mal, sobald ich unser Dorf betrete, gefragt: „Belaid, wo ist die Wolle“